70 Versammlungen im Südwesten Demos gegen Corona-Regeln: Kretschmann hochgradig beunruhigt
Tausende Menschen gehen derzeit auf die Straße, um gegen die strengen Corona-Regeln zu demonstrieren – aber halten sie sich bei den Demos an die Abstandsvorschriften? Die Landesregierung gibt sich alarmiert.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich angesichts der Infektionsgefahr bei Protesten gegen die Corona-Maßnahmen alarmiert gezeigt. „Ich bin hochgradig beunruhigt über diese Demonstrationen“, sagte der Grünen-Politiker am Dienstag in Stuttgart. Man werde auf Grundlage eines schriftlichen Berichts des Innenministeriums noch einmal diskutieren, wie man damit umgehe.
Mehrere Tausend Menschen hatten sich am Samstag in Stuttgart versammelt, um gegen Corona-Maßnahmen und Kontaktbeschränkungen zu demonstrieren. Die Polizei berichtete am Wochenende von einem friedlichen Verlauf. Die Teilnehmer der Demo hielten sich demnach weitgehend an die Abstandsregeln.
Kretschmann nannte den Bericht des Innenministeriums am Dienstag aber „sehr, sehr beunruhigend“. Demnach hätten sich viele Demonstranten nicht an die Hygienevorschriften gehalten, etwa beim Zu- und Abgang zur Demo. Zumal da Kohorten unter den Demonstranten seien, die die Regeln „eh für Blödsinn“ hielten, sagte Kretschmann. Es könne nicht sein, dass man im Land harte Vorschriften wie Abstandsregeln durchsetze und bei einer solchen Demo ein Infektions-Hotspot entstehe.
Auch Innenminister und CDU-Bundesvize Thomas Strobl zeigte sich besorgt angesichts der Demonstrationen. Er sprach von 70 Versammlungen mit zusammen etwa 19.000 Teilnehmern allein im Südwesten am vergangenen Wochenende. 1100 Polizisten waren demnach im Einsatz. „Da strömen 10.000 Menschen auf den Cannstatter Wasen, stehen teilweise dichtgedrängt an den Eingängen“, sagte Strobl der Deutschen Presse-Agentur. „Es hat sogar fliegende Händler gegeben, die Getränke und heiße Würste verkauft haben.“
Er sei nicht nur wegen der Infektionsgefahr besorgt, sondern auch mit Blick auf die Erwartungshaltung gegenüber der Polizei, sagte Strobl. Vor allem Veranstalter und Stadt seien in der Pflicht. Von den Polizisten könne man nicht erwarten, dass sie jede Nichteinhaltung der Abstandsregelung nachverfolgten und sanktionierten. Außerdem verrutschten die Verhältnisse. „Da muss man unbedingt etwas ändern: Es kann nicht sein, dass wir den Familien die Kommunions- oder Konfirmationsfeier mit unter hundert Gästen verbieten und gleichzeitig zehntausend Menschen auf dem Cannstatter Wasen zusammenkommen.“
Baden-Württembergs Antisemitismusbeauftragter Michael Blume indes schlug eine Einladung zur nächsten Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen in Stuttgart auch mit Blick auf die Infektionsgefahr aus. Die große Mehrheit der Bürger im Land habe derzeit wenig Verständnis für Gesundheitsgefährdungen im öffentlichen Raum, schreibt Blume in einem Brief an den Initiator des Protests, Michael Ballweg. Der Brief liegt der Deutschen Presse-Agentur vor. Darin kritisiert Blume NS-Vergleiche und schlichte Falschaussagen in Zusammenhang mit der Demo. Die Einladung von Ken Jebsen als Redner am Wochenende habe ihn befremdet. Jebsen vertrete antisemitische Mythen, sagte Blume. Mit der Einladung überschreite Ballweg eine Linie.
Mehrere Tausend Menschen hatten sich am Samstag in Stuttgart versammelt, um gegen Kontaktbeschränkungen zu demonstrieren. Ballweg hatte Blume per Twitter eingeladen zur nächsten Demo, um über Vorwürfe des Antisemitismus zu diskutieren. Blume antwortete nun in dem Brief, er verzichte derzeit bewusst auf öffentliche Veranstaltungen. Er bot Ballweg aber einen „respektvollen Videodialog“ an. Blume hatte zuletzt immer wieder vor zunehmendem Antisemitismus im Zusammenhang mit dem Coronavirus gewarnt.