News aus Baden-Württemberg
Badische Landesbischöfin äußert sich zu Missbrauch

News aus Baden-Württemberg Badische Landesbischöfin äußert sich zu Missbrauch

Quelle: Uli Deck
dpa

Beim Thema sexueller Missbrauch ist die Fallhöhe der Kirche aus Sicht der badischen Landesbischöfin besonders hoch. Doch es gehe nicht darum, die Institution zu schützen. Stattdessen appelliert Heike Springhart für einen Perspektivwechsel.

In der Debatte um sexualisierte Gewalt in der Kirche wirbt die Landesbischöfin der evangelischen Landeskirche in Baden dafür, mehr auf die Betroffenen zu achten. «Es kann nicht darum gehen, die Institution Kirche zu schützen», sagte Heike Springhart der Deutschen Presse-Agentur in Karlsruhe. «Entscheidend ist jeder einzelne Mensch, dem sexualisierte Gewalt angetan wurde. Sie tragen ihr Leben lang eine Wunde mit sich.» Das Mindeste sei, dass die Menschen das Gefühl bekämen, gehört zu werden. «Wir brauchen eine Haltungsänderung», appellierte die 48-Jährige.

Der Umgang mit Schuld, Vergebung und Wunden sei Thema der Karwoche, sagte Springhart. «Aber niemand kann fordern, dass Betroffene vergeben.» Richtig sei, dass die Öffentlichkeit oder zum Beispiel die Unabhängige Beauftragte des Bundes für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs auf die Kirche blicke. Kirche wiederum müsse auf die Betroffenen gucken, ihnen zuhören, sie ernstnehmen. Nur so könnten sie – wenn überhaupt – Gerechtigkeit erfahren.

Sensibel hinzuschauen bedeute, immer zu überlegen, wie etwas auf Betroffene wirke – etwa im Gebet. «Das Bekenntnis von Schuld ist Teil jedes Gottesdienstes», sagte die Bischöfin. «Aber wie hören Menschen das, die Opfer geworden sind? Können sie die Worte mitsprechen?»

Springhart betonte, dass man angesichts der Zahlen von sexualisierter Gewalt in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen davon ausgehen müsse, dass in jedem Gottesdienst, in jeder Schulklasse und in jedem Seniorenkreis Betroffene anzutreffen seien. «Wir haben überall mit dem Thema zu tun», sagte die Theologin.

Der Perspektivwechsel hin zu den Betroffenen sei ein Lernprozess, der ihrer Einschätzung nach voranschreitet. Jedoch passierten dabei auch Fehler. Anschreiben beispielsweise zu Fürsorge- oder Anerkennungsleistungen, die oft aus Routine oder juristischer Notwendigkeit heraus in trockener Verwaltungssprache verfasst sind, könnten bei Betroffenen Irritationen auslösen. Da sei es dann wichtig, dem ein Anschreiben vorzuschalten, das genau das erklärt.

«Verwaltungssprache läuft manchmal Gefahr, nicht ausreichend zu vermitteln: Ich sehe dich in der Situation, in der du lebst», sagte Springhart. Juristische und seelsorgliche Betrachtung klafften noch zu oft auseinander. Es gehe allerdings um Situationen höchster Verletzlichkeit, betonte sie. «Da zählt jedes Wort.»

Die Fallhöhe der Kirche sei besonders hoch, sagte Springhart. «Weil wir vom Vertrauen leben, das Menschen uns entgegenbringen.» Gerade in der Seelsorge vertrauten sie sich in ihrer Verletzlichkeit an. Zudem mache sich die Kirche zur Anwältin bestimmter moralischer Standards. «Wenn wir dahinter zurückfallen, ist das besonders schlimm.»

In der evangelischen Landeskirche und der Diakonie in Baden sind 92 Fälle bekannt, manche im Bereich von Kinderheimen. «Wir rechnen damit, dass es mehr sind», sagte die Landesbischöfin. Die Frage sei, wie viele ans Licht kommen. Die Zahlen sind deutlich niedriger als in der katholischen Kirche. Dort läuft die Aufarbeitung der Missbrauchsskandale allerdings auch schon länger.

Bei einem Betroffenenforum, das die Landeskirchen in Baden und der Pfalz jüngst veranstalteten, habe sie zum Ausdruck gebracht, dass sie sich dafür schäme, was in meiner Kirche passiert sei, sagte Springhart. Manche Betroffene hätten verständlicherweise viel Wut im Bauch. Das koste auch sie als Bischöfin emotionale Kraft. Wichtig sei ihr aber, dass die Betroffenen spürten, dass da keine Funktionärin spreche – «sondern ein Mensch, der sich das nahegehen lässt».

 

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