Corona in der Fächerstadt Polizeipräsidentin warnt: Mehr Kriminalität nach Corona
Baden-Württemberg ist eigentlich so sicher wie nie. Gerade in Corona-Zeiten geht die Kriminalität in einigen Bereichen weiter zurück. Das könnte sich bald ändern, warnt die neue Polizeichefin.
Für den Fall einer massiven Wirtschaftskrise in Folge der Corona-Pandemie warnt die neue Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz vor einer Zunahme des Verbrechens im Land. «Wenn sich die wirtschaftliche Lage negativ entwickelt, kann das auch bedeuten, dass mehr Menschen auf andere Weise versuchen, an Geld zu kommen und da kann Kriminalität durchaus eine Rolle spielen», sagte Hinz der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Etwa wenn Menschen ihren Job verlieren und keine Perspektive haben, schnell wieder Arbeit zu finden. Hinz nannte als Beispiele eine Reihe möglicher Delikte vom Nichtbezahlen der Tankfüllung über Internetbetrug bis hin zu unsauber abgewickelten Insolvenzen.
Deshalb dürfe man trotz milliardenschwerer Hilfspakete und sinkender Steuereinnahmen auf keinen Fall künftig bei der Polizei sparen. «Die funktionierende Verwaltung und die öffentliche Sicherheit sind Standortfaktoren, die wir nicht aus Finanzgründen hintanstehen lassen sollten», sagte Hinz. Zwar sei das Leben in Deutschland derzeit sicher. Aber: «Wenn wir wollen, dass das so bleibt, dann müssen wir da rein investieren.»
«Ich gehe nicht davon aus, dass der Normalbürger, der aufgrund von Kurzarbeit weniger Geld hat, auf einmal kriminell wird», sagte der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer. Bei künftigen Debatten um Sparpakete dürfe man aber dennoch nicht kürzen bei der Polizei. Die Beamten seien nicht optimal aufgestellt etwa bei der Digitalisierung und der Ausstattung. «Die Krise zeigt deutlich, dass der Staat zu schwach ist und die Polizei zu schwach ist.»
Die Grünen sehen ebenfalls keinen Zusammenhang zwischen einem Anstieg von Kriminalität und einer möglichen Wirtschaftskrise – und wollen auf Prävention setzen. «Primäre Aufgabe der Politik ist es ja, dass wir verhindern, dass Menschen in derart schwierige Situationen geraten, dass sie keinen anderen Ausweg sehen», sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Uli Sckerl. Man müsse die sozialen Probleme, die durch die Krise größer werden, angehen und vor allem wirtschafts- und sozialpolitisch gegensteuern – etwa mit Konjunkturimpulsen und Soforthilfen.
Hinz ist seit Januar im Amt und die erste Frau überhaupt auf dem Posten. Als Landespolizeipräsidentin ist die 47-Jährige nun Chefin von 33 000 Mitarbeitern, darunter rund 24 500 Vollzugsbeamte. Die ersten Monate im Amt waren für sie mehr als turbulent. Im Januar die Bluttat in Rot am See mit sechs Toten. Nun die Corona-Krise. «In der Tat: Es ist jetzt nicht unbedingt viel Zeit gewesen für eine klassische Einarbeitung», sagte Hinz. «Aber es hat auch Vorteile, ins kalte Wasser zu springen und schwimmen zu lernen.»
Auch die Polizei arbeitet derzeit im Ausnahmezustand. Knapp 1350 Bedienstete befinden sich nach Angaben des Innenministeriums zur Zeit in Freistellung oder Quarantäne (Stand 24. April). Seit Beginn der Krise waren es mehr als 5300. «In Spitzenzeiten waren zwischen acht und neun Prozent der Kolleginnen und Kollegen nicht im Dienst», sagte Hinz. «Das haben wir in einer normalen Grippesaison auch. Das ist für den Personalkörper verkraftbar.» 231 Polizeibeamte erkrankten bislang an dem Coronavirus, derzeit sind es noch 54.
Die Lage sei aber auch belastend für die Beamten, berichtet Hinz. «Das sind Menschen, die sich genauso anstecken und krank werden können, die Familien zuhause haben, Angehörige in Pflegeheimen oder Kinder, die nicht zur Schule oder in die Kita können.» Zwar fielen arbeitsträchtige Großereignisse wie Fußballspiele und Demonstrationen für die Beamten momentan weg. Hinz betonte aber, dass viele Kollegen gebraucht würden, um die Einhaltung der Corona-Verordnung zu überwachen. Seit dem 23. März wurden demnach gut 29 000 Fahrzeuge und fast 177 000 Personen kontrolliert (Stand 23. April). Dabei registrierten die Beamten 18 772 Verstöße.
Hinz will sich in ihrem Amt besonders der Nachwuchsgewinnung widmen. In dieser Legislaturperiode wolle die Polizei mehr als 9000 junge Kollegen einstellen und ausbilden. Hinz spricht sich vor allem für Kontinuität in der Personalpolitik aus. «Wir müssen wegkommen von den Wellenbewegungen – dass wir mal eine Pensionierungswelle haben, dann wieder eine Einstellungswelle, dann geht wieder ein paar Jahre nichts.» Die Polizei brauche jedes Jahr 1200 junge Kollegen.
Im Kampf um Nachwuchs und bei der Konkurrenz zur Privatwirtschaft rät sie zur Gelassenheit. «Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir kluge Köpfe in bestimmten Bereichen wie zum Beispiel der IT vielleicht nur für fünf, sechs oder acht Jahre bei uns haben – und sie dann wieder eine neue Aufgabe übernehmen oder zu einem anderen Arbeitgeber wechseln.»