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Tausende gescheiterte Abschiebungen in Baden-Württemberg

News Tausende gescheiterte Abschiebungen in Baden-Württemberg

Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
dpa

Die EU hat sich ein System zur fairen Aufnahme von Asylbewerbern ausgedacht – das Dublin-Verfahren. Die Statistik zeigt aber: Für Baden-Württemberg hat es zuletzt kaum funktioniert. Warum nicht?

In Baden-Württemberg ist es im vergangenen Jahr in Tausenden Fällen nicht gelungen, Asylbewerber nach dem Dublin-Verfahren in das jeweils zuständige EU-Partnerland zu überstellen – obwohl in all diesen Fällen die förmliche Zustimmung des jeweiligen Landes vorlag. Das geht aus Zahlen des baden-württembergischen Justizministeriums und aus Statistiken des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen.

Laut BAMF hatte die Bundesregierung insgesamt in 10.467 Fällen aus Baden-Württemberg um Überstellung in ein EU-Land gebeten, in 6.770 Fällen stimmten die Partnerländer zu. Tatsächlich überstellt wurde laut Bundesamt jedoch mit nur 660 Menschen nicht einmal jeder Zehnte. Bundesweit ist das Verhältnis zwischen Ersuchen, Zustimmungen und Überstellungen ähnlich.

Ersteinreiseland für Einreisende zuständig

Die Dublin-Verordnung regelt, dass ein anderes EU-Land für einen Asylbewerber zuständig ist, wenn er dort einen Antrag auf Schutz gestellt hat oder zuerst eingereist ist. Reisen die Flüchtlinge weiter in andere EU-Staaten und stellen dort erst den Asylantrag – was häufig in Deutschland passiert – muss das Ersteinreiseland die Menschen unter bestimmten Bedingungen zurücknehmen. Das Verfahren ist ein Bestandteil des gemeinsamen europäischen Asylsystems.

Italien nimmt kaum jemand zurück

Die Gründe für die schwachen Erfolgsquoten liegen im In- und Ausland. Bekannt ist, dass einige Länder der Rücknahme zwar zustimmen, in der Praxis aber unerfüllbare Bedingungen für die Rücknahme von Dublin-Flüchtlingen stellen und damit die Überstellungen fast unmöglich machen. Italien etwa akzeptiert seit Dezember 2022 keine Dublin-Flüge ins Land mehr und nahm laut BAMF auch aus Baden-Württemberg keinen einzigen Fall zurück. Dabei hatte es 2.514 Ersuchen erhalten und auch in 2.144 baden-württembergischen Fällen einer Rücknahme zugestimmt.

Andere Gründe liegen im Inland, etwa wenn die deutschen Behörden die Fälle nicht rechtzeitig bearbeiten oder deutsche Gerichte die Überstellungen verhindern, etwa in Länder wie Kroatien. Die Richter sehen die Gefahr, dass die Asylbewerber dort kein rechtsstaatliches Verfahren erhalten oder die Unterbringungsbedingungen nicht den Mindestanforderungen entsprechen.

Überstellungen auch vor Solingen und Aschaffenburg gescheitert

Zuletzt hatten die Anschläge von Solingen und Aschaffenburg das deutsche Scheitern bei den Dublin-Überstellungen in die Schlagzeilen gebracht. Denn die in beiden Fällen hätten die Tatverdächtigen für ihre Asylverfahren eigentlich nach Bulgarien rücküberstellt werden sollen.

Im Aschaffenburger Fall waren sogar schon 4,5 Monate der sechsmonatigen Frist verstrichen, ehe das BAMF der örtlichen Ausländerbehörde in Aschaffenburg die Dublin-Rückführung mitteilte – der rechtskräftige Bescheid kam sogar erst wenige Tage vor Fristablauf in Aschaffenburg an.

Baden-Württemberg übernimmt Organisation

Das Land Baden-Württemberg übernimmt bei Dublin-Überstellungen erst, wenn eine Überstellung vom BAMF für rechtlich zulässig und durchführbar erachtet wird. Das landesweit zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe ist danach für die Überstellung über Land oder per Flug, für mögliche Grenzübergangsstellen oder Flughäfen und den Termin verantwortlich.

Nach Angaben des Justizministeriums unterscheiden sich die Stuttgarter Zahlen leicht von der Statistik des BAMF, der Trend ist aber deutlich: Demnach scheiterten im vergangenen Jahr laut Ministerium bereits etwa 4.000 der rund 6.700 zugestimmten Überstellungen, bevor das Land sie übernommen hätte. Auch etwa 2.080 schließlich vom Land geplante Überstellungen funktionierten nicht. Laut Stuttgarter Statistik wurden 623 Menschen überstellt.

Kritik aus Baden-Württemberg

«Wir bedauern es, dass das Dublin-System eindeutig nicht in der Lage ist, einen wirksamen Beitrag zur Migrationssteuerung zu leisten», sagte Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU). Die Haltung Italiens zeige, dass sich die Bundesregierung nicht darum bemühe, dem Dublin-System zu mehr Wirksamkeit zu verhelfen. «Vor diesem Hintergrund sind Zurückweisungen an der Binnengrenze das Gebot der Stunde.»

Die baden-württembergische SPD-Fraktion spricht dagegen von einem «ganz erheblichen Vollzugsdefizit bei Dublin-Überstellungen». Trotz einer landesweit gebündelten Zuständigkeit des Justizministeriums gebe es erheblichen Handlungsbedarf hat, um diese Zahlen zu steigern, sagte der migrationspolitische Sprecher der Fraktion, Sascha Binder.

Die meisten werden nicht angetroffen

Fast 1.300 in baden-württembergischer Verantwortung stehende Überstellungen (1.281 Fälle) scheiterten laut Ministerium im vergangenen Jahr, weil der abgelehnte Asylbewerber nicht angetroffen wurde. In mehr als 300 weiteren Fällen ging das BAMF nochmal dazwischen, 124 Asylbewerber tauchten laut Justizministerium unter. Auch freiwillige Ausreisen, rechtliche oder familiäre Gründe sowie Widerstand zählten zu weiteren Gründen.

 

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