News aus Baden-Württemberg
Versorgung unbegleiteter Geflüchteter: Sozialminister lädt zu Treffen

News aus Baden-Württemberg Versorgung unbegleiteter Geflüchteter: Sozialminister lädt zu Treffen

Quelle: Marijan Murat
dpa

Kinder und Jugendliche aus Kriegs- und Krisengebieten kommen nach Deutschland. Ohne Eltern, ohne Angehörige. Sie rutschen nicht in das übliche System der Flüchtlingsaufnahme, sondern werden speziell betreut. Doch die Kapazitäten geraten auch hier an die Grenzen.

Um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) betreuen zu können, hat Baden-Württemberg Standards gesenkt. Das Sozialministerium lädt die Spitzen der Kommunalverbände zudem am Dienstag zum Gespräch. Städtetag und Landkreistag hätten Minister Manne Lucha (Grüne) mehrere Brandbriefe geschrieben, berichtete der Südwestrundfunk am Donnerstag. Sie forderten dringend mehr finanzielle und organisatorische Unterstützung des Landes. «Wir handeln in der Krise», sagte Jonas Nees, Fachbereichsleiter Jugendhilfe und Soziale Dienste bei der Stadt Karlsruhe, der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist kein pädagogisches Handeln mehr.»

Laut dem Ministerium wurden im vergangenen Jahr 3180 UMF im Südwesten gemeldet – mehr als zweieinhalb Mal so viele wie 2021. Im Vergleich dazu wurden Angaben einer Sprecherin zufolge im Jahr 2015, als der Flüchtlingszustrom enorm hoch war, rund 9000 UMF registriert. Anders als bei Erwachsenen oder Geflohenen mit Begleitung werden sie nicht zentral untergebracht, sondern von den Jugendämtern betreut.

Seit 2015/16 habe sich der Fachkräftemangel weiter verschärft, sagte Jürgen Blechinger, der die Abteilung Flucht und Migration des Diakonischen Werks Baden leitet, das aktuelle Problem. Auch Nees von der Stadt Karlsruhe sagte, sie hätten Mitarbeiter aus dem Ruhestand aktiviert und arbeiteten mit ehemals selbst Geflüchteten. Diese Menschen ständen aber nicht dauerhaft zur Verfügung. Zudem bliebe den Kommunen im Moment nur zu reagieren, wenn UMF kämen. Das gehe aber nicht mehr ohne Notfallkonzepte. Sonst könnten sie nicht mehr allen Betroffenen ein Bett anbieten, machte Nees deutlich.

Um Abhilfe zu schaffen, haben das Ministerium und das Landesjugendamt die Vorgaben für die Betriebserlaubnis zur Unterbringung durch die Kommunen «flexibilisiert», wie es die Sprecherin formulierte. Beispielsweise müssten Jugendliche ab 15 Jahren in Wohneinheiten nicht mehr rund um die Uhr von einer pädagogischen Fachkraft betreut werden. Von 22.00 bis 6.00 Uhr könne die Sicherheit durch einen Security-Dienst gewährleistet werden. In Räumen größer als 20 Quadratmeter dürften vorübergehend sechs statt vier Betten stehen.

Um Obdachlosigkeit zu vermeiden, seien auch Unterkünfte ohne Betriebserlaubnis erlaubt – solange das Kindeswohl gewährleistet sei. «Das wird in Sammelunterkünften wie Turnhallen regelmäßig nicht der Fall sein, sondern eher in Einzelunterbringung oder kleineren Gruppen», erklärte die Ministeriumssprecherin dazu.

«Die Flexibilisierung müssen wir vollständig ausnutzen», sagte Nees. Sie reiche allerdings nicht, um mittelfristig weg vom Reagieren hin zu einem proaktiven Handeln zu kommen. Aus Sicht Blechingers darf die Lösung auch nicht sein, nachts auf Sicherheitspersonal ohne jegliche pädagogische Ausbildung zu setzen. Die Kinder und Jugendlichen, um die es gehe, seien in besonders schwierigen Situationen. Ein Kompromiss könnten aus seiner Sicht Konzepte sein, bei denen ausreichend Fachpersonal durch geschulte Kräfte unterstützt werde.

Eine kinder- und jugendgerechte Betreuung der UMF müsse sichergestellt sein, sagte Blechinger. «Es ist fatal, wenn man zentrale Standards in der Jugendhilfe einfach mal aussetzt.» Geschehe dies einmal, werde es schnell zur dauerhaften Lösung. «Bis man merkt, dass das massive integrationspolitische Folgen hat», warnte er. Die Integration der jungen Menschen müsse von Anfang an gewährleistet sein. «Das ist auch im Interesse der Aufnahmegesellschaft.» Die Kommunalverbände fordern vom Land zudem, minderjährige Flüchtlinge ähnlich wie Erwachsene in Erstaufnahmeeinrichtungen unterzubringen. «Hierin sehen wir im Moment die einzige Chance, den Kollaps auf lokaler Ebene zu vermeiden», heißt es laut SWR in einem Schreiben an Sozialminister Lucha. Ein solches Erstaufnahmesystem hatte Landkreistags-Präsident Joachim Walter (CDU) schon vor dem Flüchtlingsgipfel des Landes Anfang Dezember gefordert.

Lucha hatte diese Vorschläge bislang zurückgewiesen und schrieb den Verbänden laut SWR: «Der Aufbau eines Systems der zentralen Erstaufnahme würde erhebliche Zeit in Anspruch nehmen, um die nötigen räumlichen und vor allem personellen Ressourcen aufzubauen.» Zudem entstünden überflüssige Doppelstrukturen im Bereich der Jugendhilfe.

Auch Blechinger warnte davor, UMF zentral unterzubringen. «Das schafft nur neue Probleme.» Besser seien dezentrale Lösungen, kleine Gruppen oder die Unterbringung in Pflegefamilien. «Gute Konzepte helfen auch, dass Fachkräfte gerne in diesem Bereich arbeiten.»

Derzeit kommen dem Ministerium zufolge insbesondere Minderjährige aus den Ländern Afghanistan, Irak und Syrien nach Baden-Württemberg. Wie sich die Zahlen in diesem Jahr entwickeln, lässt sich schwer abschätzen, wie die Sprecherin deutlich machte: «Seriöse Prognosen sind angesichts der weltpolitischen Lage derzeit nicht möglich.»

 

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