Interview vor dem Start am 12. Januar 2020
Vesperkirche Karlsruhe: „Es gibt keine Berührungsängste mehr!“

Interview vor dem Start am 12. Januar 2020 Vesperkirche Karlsruhe: „Es gibt keine Berührungsängste mehr!“

Quelle: Privat

Am Sonntag, den 12. Januar 2020, startet zum siebten Mal die Karlsruher Vesperkirche am Werderplatz. meinKA hat vorab mit Pfarrerin Lara Pflaumbaum über die Hemmschwelle Kirchenschwelle, kein einfaches Klientel und eine Win-win-Situation gesprochen.

Ab Sonntag, den 12. Januar 2020, ist wieder Zeit für die Karlsruher Vesperkirche. Vier Wochen lang treffen sich dann in der Johanniskirche am Werderplatz Menschen aus verschiedenen Schichten, um zusammen zu essen und gemeinsam Zeit zu verbringen. meinKA hat vorab mit Lara Pflaumbaum, Pfarrerin der Johannis-Paulus-Gemeinde und hauptamtlicher Projektleiterin der Vesperkirche gesprochen.

 

Wie laufen die Vorbereitungen für die Vesperkirche – sind Sie im Stress?

Die laufen gut – wie immer eigentlich. Im Moment sind wir hauptsächlich am Spenden einsammeln und anfragen, unter anderem bei Läden. Es ist total erstaunlich, wie Mitarbeitende selbst immer wieder bei der Spendersuche  helfen und Kontakte zu möglichen Spendengebern herstellen.

 

Welche Menschen helfen Ihnen als ehrenamtliche Mitarbeiter?

Ja, das muss man vielleicht dazu sagen. Wir von der Vesperkirche versuchen ein Miteinander unterschiedlicher Gruppen zu erreichen – auch bei den Mitarbeitern. So sollen auch Leute, die eher zu den sozial Schwächeren gehören, zum Team dazugehören. Es ist echt klasse, wie auch gerade diese „szenenahen“ Mitarbeiter Kontakte herstellen und sich dann bei uns melden: „Brauchen wir das bei der Vesperkirche?“ Ich finde es toll, wenn man es schafft, auch diese Menschen einzubauen und die sind dann auch wahnsinnig stolz. Wir sind im siebten Jahr der Vesperkirche und alle reißen sich immer noch darum, mitzumachen und fühlen sich verantwortlich: gesellschafftlich Akzeptierte wie auch Menschen aus den Randgruppen. Davon können wir viel lernen. Alle Mitarbeitenden lernen dann voneinander. Es ist nicht einseitig.

Und auch die Zusammenarbeit mit der Stadt ist extrem wichtig für uns gerade für so manche logistische Erfordernisse. Und der Stadt sind wir als Vesperkirche auch im Bewusstsein. Oberbürgermeister Frank Mentrup ist ja auch ihr Schirmherr.

 

Wann beginnen die Vorbereitungen?

Sobald die Vesperkirche im Februar zu Ende ist, werten wir mit den ehrenamtlichen Bereichsleitern aus, wie es gelaufen ist. Und im Sommer geht es dann bereits los mit den Vorbereitungen für die nächste Vesperkirche. Dabei geht es vor allem darum, früh die Mitarbeiter zu finden. Diese können sich in einer Frist bis zu den Herbstferien anmelden. Dieses Jahr sind es fast 400 Mitarbeiter, die sich angemeldet haben – und da zählen die Schülerpraktikanten noch nicht dazu.

Jetzt gerade läuft die heiße Phase mit Einkäufen – was ist schon da? Was wird noch gebraucht? Im Moment bekommen wir auch ganz viele Sachspenden, zum Beispiel die Schokolade von Weihnachten.

 

Woher kommen all die Sachspenden?

Unsere ehrenamtlichen Helfer haben mittlerweile ein gutes Netz aufgebaut mit verschiedenen Läden, zum Beispiel mit Bäckereien, die uns während der Vesperkirche versorgen. Zwei Ehrenamtliche koordinieren den Kontakt zu den Spendern und auch die Abholung. Außerdem bekommen wir viel von Lebensmittelmärkten. Das Essen wird von der Stadtmission in deren Großküche zubereitet. Aber wir haben zum Beispiel auch ganz viele Schlafsäcke bekommen. Was wir

zu viel haben, verteilen wir unter den anderen sozialen Einrichtungen – wir haben da ein richtiges Netzwerk.

 

Kommen täglich dieselben Menschen oder variiert das stark?

Es variiert. Es gibt einen festen Stamm, das ist etwa ein Drittel – aber nur unter der Woche. Die sind uns auch bekannt und kommen unter Umständen auch täglich. Vor allem an Sonntagen sind es ganz andere Leute. Da bleibt der Stamm oft weg, weil es so voll ist. Am Sonntag sind es eher die Leute, die vom Tagestreff TÜR kommen, weil dieser an dem Tag geschlossen ist.

 

Was bedeutet für Sie die Vesperkirche?

Ich find sie klasse, da wird wirklich Kirche gelebt. Es ist toll, so mit den Menschen zusammen zu sein – und auch von ihnen zu lernen. Und hier haben wir die Möglichkeit, diesen beheizten großen Kirchenraum zur Verfügung zu stellen. So kann etwas entstehen für Menschen, die von anderen manchmal nicht einmal angeschaut werden. Und es ist nicht ein von oben herab. Sondern wir sind einfach mit ihnen zusammen. Egal, wo wir selbst herkommen. Und unsere Gäste werden von uns bedient. Mal etwas ganz anderes.

Und auch die vielen Mitarbeitenden, die vielleicht besser situiert sind, sind auch sehr dankbar, dass sie Kontakt herstellen können zu Menschen, zu denen sie normalerweise keinen Kontakt haben. Das ist eine richtige Win-win-Situation.

Es kommen auch freiwillig Ärzte. Die Tierärztin kommt zum Beispiel und behandelt Tiere, die zum Teil verwahrlost sind – einfach so, umsonst. Dieses Engagement in der Bevölkerung zu spüren und wie das zusammengeht mit den unterschiedlichen Schichten, ist einfach schön. Das Ziel ist es, so etwas wie Heimat anzubieten – wenn auch nur für kurze Zeit.

 

Gibt es ein Erlebnis, das ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Also man muss sagen, es ist keine Sozialromantik. Im letzten Jahr hatten wir ein riesiges Problem, weil die Toiletten auf dem Werderplatz geschlossen waren. Dann mussten wir hier in der Kirche extrem aufpassen mit allem, was so in der Drogenszene abgeht. Da war häufig der Krankenwagen da. Wir haben nicht so ein einfaches Klientel, das muss klar sein. Aber daraus haben wir auch gelernt.

Ein ganz aktuelles positives Erlebnis: Bei einem szenenahen Mitarbeiter war in diesem Jahr ganz lange nicht klar, ob er mitarbeiten kann. Und obwohl er lange nicht wusste, ob er dabei sein kann, hat er unentwegt Spenden organisiert. Er fühlt sich einfach zu unserer Vesperkirche zugehörig. So hat er  beispielsweise über eigene Bezüge den Kontakt zu einem  Supermarkt hergestellt und angefragt: „Wollt ihr uns nicht was spenden, ist doch für die Vesperkirche!“ Das ist schon faszinierend, wie engagiert er ist. Mittlerweile wissen wir aber, dass er auch in diesem Jahr dabei sein kann! Und wir sind froh darüber, weil er einen verantwortlichen Posten hat. Und er macht es gut!

 

Wie hat sich die Vesperkirche entwickelt?

Die Vesperkirche ist langsam anerkannt. Viele Menschen, die so eher am Rande leben, haben eigentlich nicht besonders gute Erfahrungen mit Kirche gemacht. Die Kirche hat da einen ganz schlechten Stand. Es besteht eine riesige Hemmschwelle, über die Kirchenschwelle zu treten. Das hat sich in den Jahren total geändert. Fast niemand weiß noch, wie unsere Kirche am Werderplatz heißt, es ist inzwischen einfach die Vesperkirche. Die Leute laufen herein wie selbstverständlich, es gibt keine Berührungsängste mehr. Weil sie auch wissen, da gibt es etwas für sie…

Ich habe auch den Eindruck, der Kirchenraum wird geschätzt. Und der Kirchenraum macht etwas mit den Menschen. Hier gibt es viel weniger Streitigkeiten und Handgreiflichkeiten als in einem anderen Raum. Die meisten Leute – auch wenn sie schlechte Erfahrungen gemacht haben – sind dankbar, dass sie da sein dürfen.

 

Die Vesperkirche läuft bis zum 9. Februar – und dann?

Es gibt in Karlsruhe viele Einrichtungen, in denen Menschen an ein Mittagessen kommen. Darum geht es ja gerade nicht: Die Vesperkirche soll keine Armenspeisung sein, sondern eine Möglichkeit, schichtübergreifend zusammenzukommen. Das ganze Jahr über gibt es das Angebot des Café DIA im Vorraum der Kirche an mehreren Vormittagen in der Woche. Dadurch bleiben wir präsent am Werderplatz und Ehrenamtliche führen das auch mit einem Programm und vielen Mitmachprojekten weiter.

Bei Problemen können wir helfen und an andere soziale Einrichtungen vermitteln. Wir sind ein drogenfreier, alkoholfreier Schutzraum. Bei uns können die Menschen kommen, wie sie sind und einfach in einem geschützen Raum sein. Und wir sind da, wenn sie Kontakt wollen. Es soll etwas davon ausstrahlen, was ich, ja, ganz im biblischen Sinne, als unseren geistlichen Auftrag in der Welt bezeichnen würde.

 

Wie kann man die Vesperkirche unterstützen?

Wir sind froh um jede finanzielle Spende. Die gesamte Vesperkirche kostet etwa 100.000 Euro. Wir müssen immer wieder Neues anschaffen, das kostet einfach unglaublich viel. Was wir außerdem immer brauchen, sind Kuchenspenden. Mittags haben wir meist ein Kulturprogramm und es gibt Kaffee und Kuchen. Dazu brauchen wir täglich mindestens 30 Kuchen – die Leute haben schon ungeheuren Hunger. Den Kuchen können die Bäckerinnen und Bäcker einfach ab 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr in der Kirche abgeben – der Vesperkirche am Werderplatz natürlich!

Vesperkirche in Karlsruhe - 2019

Auch interessant


Falls Ihnen inhaltliche Fehler oder Fehlfunktionen auffallen, einfach bei redaktion@meinka.de melden.