Der "Underdog" Baden-Württembergs
Pforzheim – Goldstadt zwischen Handel, Schmuck & Trümmer

Der "Underdog" Baden-Württembergs Pforzheim – Goldstadt zwischen Handel, Schmuck & Trümmer

Quelle: Pforzheim im Herbst | Quelle: Stadt Pforzheim

Anders als Karlsruhe oder Freiburg kann Pforzheim kaum mit Prachtbauten oder hübschen Gässchen aufwarten. Doch ein Blick hinter die Kulissen lohnt sich. Die Stadt besticht durch die hervorragende Hochschule, das Gasometer und die Lage im Schwarzwald.

Pforzheim – Goldstadt im Enzkreis nahe Karlsruhe

Spricht man über Pforzheim, gibt es meistens zwei Reaktionen. Die einen sagen: „Oh, die berühmte Goldstadt!“ Die anderen sagen: „Oh, dort ist es doch so hässlich!“ Beide Aussagen haben, das lässt sich nicht leugnen, ihre Berechtigung. Denn wahr ist beides: Pforzheim hat eine beeindruckende Geschichte in der Schmuck- und Uhrenindustrie, wo Handwerk und Ästhetik beispiellos miteinander verbunden werden. Gleichermaßen haben zahlreiche Zerstörungen ihre Spuren im Stadtbild hinterlassen.

Idyllisch am Nordrand des Schwarzwaldes im Nordwesten Baden-Württembergs gelegen, liegt die kreisfreie Stadt mitten im Enzkreis, wo sanfte bewaldete Hügel die Umgebung prägen. 126.000 Einwohner zählt die Stadt, in der gleich drei kleine Flüsse zusammenkommen: Die Enz, Nagold und Würm. Diese Wasserlage ist es, der Pforzheim seine Entstehung zu verdanken hat.

 

Pforzheim an der Enz | Quelle: Pixabay

 

Handel und Humanismus

Erste Belege für die Besiedlung des Stadtgebietes stammen aus dem Jahre 90 nach Christus, als die Siedlung den lateinischen Namen Portus trug. „Portus“ bedeutet soviel wie „kleiner Hafen“, denn hier führte die Enz seichtes Gewässer und war leicht zu überqueren. So lebt die kleine Siedlung vor sich hin, bis sie um 260 durch die Alemannen vollständig zerstört wird – die erste Zerstörung von vielen, die Pforzheim in seiner bewegten Geschichte durchlebt. Es folgt eine Zeit des „Schwarzen Loches“, aus der wenig über den Wiederaufbau bekannt ist. Die nächsten Siedlungsnachweise stammen erst wieder von 700 nach Christus, etwa einen Kilometer von der ursprünglichen Siedlung entfernt.

Aus diesem Wiederaufbau entwickelt sich ein blühendes Städtchen, wobei die „Alte Stadt“ bereits 1080 das Marktrecht erhält. Die „Neue Stadt“, errichtet westlich der „Alten Stadt“ am Fuße des Schlossberges, erhält das Stadtrecht erst 1200, gewinnt aber immer mehr an Bedeutung. Aus dieser Zeit stammt auch der Name „Phorcen“, die eingedeutschte Weiterentwicklung von „Portus“ – klingt doch schon fast wie Pforzheim.

 

Wirrungen und Zerstörung

Die Stadt wächst und gedeiht, durch den regen Floßverkehr inklusive Zollstation kommt Geld in die Stadt. Die Präsenz des Markgrafen ab 1535 bringt den Zuzug adliger Familien mit sich. Die Lateinschule stellt ein wichtiges Zentrum des Humanismus dar, dessen bekannteste Stimme Johannes Reuchlin ist. Doch das neue Denken und die Reformation der Kirche sind geprägt von Zerwürfnissen, die auch Pforzheim zu spüren bekommt. Durch die Erbteilung in eine katholische und eine protestantische Linie verlegt der Markgraf seine Residenz nach Durlach, mit ihm wandern viele der gutbetuchten Familien ab. Hat sich der politische Schwerpunkt auch aus Pforzheim wegbewegt, so hält sich die Stadt als  Gewerbestadt tapfer – bis Bayrische Truppen gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges die „Alte Stadt“ komplett niederbrennen. Sie wird nicht mehr aufgebaut und verschwindet in der Geschichte. Die „Neue Stadt“ wird in den Pfälzischen Kriegen 1689 und 1692 gleich dreimal von französischen Truppen geplündert und niedergebrannt.

 

Tickende Uhren und Fliegerbomben

Pforzheim ließ sich jedoch nicht unterkriegen und stemmte sich immer wieder selbst auf die Beine. Das 18. und 19. Jahrhundert werden zur wirtschaftlichen Blütezeit. 1767 entsteht im städtischen Waisenhaus eine Uhrenfabrik, mit dem Zweck, die Kinder zu beschäftigen, und weil sich deren kleine Hände für die filigrane Arbeit besser eignen. Diese Uhrenfabrik ist der Startschuss für Pforzheim als Goldstadt. Auf diese Uhrenfabrik folgen viele weitere, genauso wie zahlreiche Schmuckmanufakturen. Im Jahre 1800 unterhält Pforzheim etwa 900 Fabriken mit mehr als 26.000 Beschäftigten. Kein Wunder also, dass Pforzheim Mitte des 19. Jahrhunderts einen Bahnhof bekommt– die Waren wollen schließlich exportiert werden! Der zunehmende Bahnverkehr bedeutet jedoch das Ende der Flöße und Boote. „Portus“, der Flusshafen, hat seine Bedeutung verloren.

Im Dritten Reich kann Pforzheim seinen Wohlstand zunächst halten, nicht zuletzt durch die Kriegsgefangenen aus Frankreich, Russland oder der Ukraine, die hier als Zwangsarbeiter ausgenutzt werden. Pforzheim ist weiterhin Zentrum für Feinmechanik, gilt aber auch als wichtiger Stützpunkt für den Schienentransport von Truppen. Außerdem gibt es Fabriken zur Herstellung von Zielerfassungsinstrumenten und Granaten. Dies mag, neben der Demoralisierung der Bevölkerung, der Grund für den verheerenden Luftangriff vom 23. Februar 1945 gewesen sein.

Innerhalb von 22 Minuten zerstören Fliegerbomben mehr als 80 Prozent der Stadt. Rund 18.000 Menschen kommen dabei ums Leben. Heute erinnern ein Mahnmal auf dem Wallberg sowie eine jährliche Schweigeminute an diesen Tag.

 

Mahnmal des Bombardements | Quelle: Pixabay

 

Kriegsende – doch die Stadt hat noch zu kämpfen

Trotz dieser fast vollständigen Zerstörung gelang der Stadt erneut Unglaubliches. Schon 1951 verzeichnet sie die niedrigste Arbeitslosenzahl in ganz Baden, beim Wiederaufbau wird keine Zeit verloren. Zahlreiche Aussiedler, Kriegsvertriebene und Gastarbeiter kommen nach Pforzheim, noch heute ist die Stadt eine der deutschen Großstädte mit den vielseitigsten Wurzeln.

Somit wird das eher pragmatische Erscheinungsbild Pforzheims auf diesen raschen Wiederaufbau zurückgeführt, denn wo es schnell gehen muss, bleibt wenig Zeit für Ästhetik. Dies ist jedoch nicht die ganze Wahrheit: Schon vor dem Krieg bedauerten Pforzheims Bürger, durch die früheren Zerstörungen und die Verschiebung der „Alten Stadt“ zur „Neuen Stadt“ keine einheitliche, attraktive Innenstadt zu haben. Lediglich in Teilen der Nord- und Südstadt können noch Gebäude aus Vorkriegszeit bewundert werden, etwa in der Zähringerallee oder Nebeniusstraße.

Noch heute werden 75 Prozent aller deutschen Schmuckwaren in Pforzheim hergestellt, auch gibt es hier die europaweit einzige Goldschmiedeschule mit Uhrmacherschule. Doch dies garantiert nicht mehr den Reichtum, den die Stadt einmal hatte. Durch günstigen Modeschmuck aus dem Ausland verliert die Branche an Bedeutung. Auch der wirtschaftliche Aufschwung direkt nach dem Krieg sollte nicht von langer Dauer sein. 2011 ist Pforzheim die Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote in Baden-Württemberg, eine Zahl, die bis 2018 jedoch deutlich gesunken ist. Es ist klar: Pforzheim lässt sich nicht unterkriegen.

 

Pforzheimer Marktplatz um 1863, W.Berggötz | Quelle: Creative Commons

 

Leben in Pforzheim – Hochschule & Theater & Co.

Hochschule Pforzheim

In der Stadt befindet sich die Hochschule Pforzheim für Gestaltung, Technik, Wirtschaft und Recht. Klingt nach einer willkürlichen Zusammenstellung? Das liegt daran, dass die beiden ehemals eigenständigen Schulen für Kunstgewerbe und Metallindustrie sowie die Höhere Wirtschaftsschule 1992 zusammengeschlossen wurden. Die Hochschule genießt international einen hervorragenden Ruf und unterhält Kooperationen mit über 100 Partneruniversitäten weltweit. Die 6200 Studierenden sorgen für ein kleines, aber hartnäckiges Nachtleben, so dass sich in Pforzheim durchaus einige Bars und Clubs finden lassen.

Theater Pforzheim

Direkt an der Enz am Waisenhausplatz wurde 1990 das Stadttheater eröffnet. Hier werden Ballett, Musicals, Oper, Schauspiel, Konzerte und Kindertheater angeboten, wobei es zwei Spielorte gibt: Einen großen Saal für 500 Zuschauer, und einen kleinen, in dem 190 Menschen Platz finden. Die Inszenierungen, die von Stücken der Antike bis hin zu zeitgenössischen Eigenproduktionen reichen, lassen keine Wünsche offen, dennoch bleibt ein kleiner Wermutstropfen: Die Tatsache, dass hier einmal ein Prachtbau für bis zu 2000 Zuschauer stand, der im Krieg zerstört wurde.

Schmuckmuseum Pforzheim

Keine Goldstadt ohne Schmuckmuseum! Natürlich befindet sich in dem Museum im Reuchlinhaus, welches auch den Kunstverein beherbergt, eine Abteilung über die besondere Verbindung der Stadt zum Schmuck. Vor allem aber ist es das weltweit einzige Museum in öffentlicher Hand, welches sich ausschließlich dem Schmuck verschrieben hat. Hier gibt es Exponate aus über fünf Jahrtausenden Geschichte, eingebettet in den jeweiligen zeitlichen und ethnischen Kontext.

 

Gasometer Pforzheim Great Barrier Reef

| Quelle: T. Schulze / Gasometer Pforzheim

 

Gasometer Pforzheim

Selten wird die Verbindung von Industrie und Ästhetik so sichtbar wie im Gasometer. Als Zwischenspeicher für Gas war es von 1912 bis 2003 in Betrieb, bevor es 2005 umgebaut und 2014 als Ausstellungsort eröffnet wurde. Auf einer Grundfläche von rund 1500 Quadratkilometern werden hier die XXL 360 Grad Panoramen des Künstlers Yadegar Asisi gezeigt, außerdem genießt man von einer Aussichtsplattform auf 35 Metern Höhe den Blick ins Umland. Abends finden hier oft Konzerte des Jazz&Folk Clubs statt, außerdem ist das Gasometer als Eventlocation buchbar.

 

Historische Routen und natürliche Pfade in Pforzheim

Gut, „Portus“ ist nicht dasselbe wie „Porta“. Als Pforte zum Schwarzwald gilt die Stadt aber trotzdem. Und das sogar wortwörtlich: Das goldene Tor stellt den Startpunkt des Westweges dar, Deutschlands ältestem Fernwanderweg, der bis nach Basel führt.

Wo der Westweg anfängt, endet ein anderer, nämlich die Bertha Benz Memorial Route. Um die Sicherheit und Funktionalität der „pferdelosen Kutsche“ zu demonstrieren, entführte Bertha Benz, Frau des Automobilerfinders Karl Benz, eines Nachts im Jahre 1888 heimlich das Automobil aus der Garage. Mit ihren Söhnen fuhr sie von Mannheim bis in ihre Geburtsstadt Pforzheim und markierte so die erste Langstreckenfahrt der Welt.

Wer die Erfindung des anderen Karls, namentlich Karl Drais, bevorzugt und lieber auf dem Fahrrad unterwegs ist, wird ebenfalls fündig: Von Karlsruhe aus führt ein durchgehend ausgebauter Fahrradweg schön an der Pfinz entlang bis nach Pforzheim.

Ob mit zu Fuß, mit dem Auto, dem Zug oder per Fahrrad – Pforzheim, dem Underdog Baden-Württembergs, gebühren ein Besuch und der Blick hinter die Fassade.

 

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